Wahre Vogelhaus-Geschichten

Quax – eine Lovestory

…und der lebende Beweis, dass man NIEMALS aufgeben darf !

Quax´Geschichte beginnt an einem kühlen, verregneten Tag im Mai 2010.
An diesem grauen Morgen klingelt das Telefon und eine Anwohnerin unseres Dorfes erzählt besorgt, auf der nassen Straße läge eine kleine Elster. Nach stundenlanger Beobachtung zeigte sich, das Vogelkind konnte sich nicht bewegen und wurde auch von seinen Eltern nicht gefüttert.
Es war kalt, grimmig und gefährlich da draussen, und ich bat die Frau, die kleine Elster doch zu sich ins Haus zu holen und sie zur Tierärztin zu bringen, um zu sehen, ob etwas gebrochen oder verletzt war.

Am Mittag kam die Frau mit einem kleinen schwarz-weißen Bündel ohne Schwanz an, das mich mit großen Augen anschaute. Gebrochen war zum Glück nichts – aber die kleine Elster fiel sofort auf die Seite, kaum dass ich sie aus der Hand nahm.
Ein behinderter Jungvogel, wie schlimm!
Vermutlich hatte er neurologische Schäden erlitten, als er aus seinem Nest in einem sehr hohen Baum gefallen war….
Üblicherweise geben wir Wildvogelkindern keinen Namen, denn sie werden ja wieder ausgewildert und das erleichtert uns den Abschied ein bisschen.
Aber hier mussten wir davon ausgehen, dass das Tier für immer behindert bleiben und nicht mehr in die Freiheit zurück können würde – so tauften wir den Kleinen bruchpilotmässig, da er ständig umfiel, auf den Namen QUAX.

Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, ob er überhaupt überleben würde, wo er später leben könnte etc…… Fragen über Fragen. Dementsprechend folgten schlaflose Nächte und viel, viel Arbeit – denn der Kleine brauchte alle 1-2 Stunden Futter. Speziell für ihn Zusammengestelltes, versteht sich. An seinem Spezial-Wildvogel-Rührei ergötzten sich auch die Papageien!

Quax war anfangs dadurch, dass er sich kaum bewegen konnte, im Gegensatz zu später recht "handlich". Ich trug ihn mit mir in der hohlen Hand am Körper herum und war ständig darauf bedacht, dass er nicht herausfiel, Im Garten bekam er einen großen Auslauf, aber er hockte nur ein einer Ecke.
Weiche Tücher bedeckten den Boden seines Kistchens.

Doch der kleine Kerl war superklug! Er wuchs und lernte. Bald hatte er seine Ziehmama fest im Griff und diktierte unseren Tagesablauf.
Er wurde beweglicher, fing an zu hüpfen, fiel um, stand wieder auf.
Nun kam er in einen Käfig und ein erster Ast wurde angebracht. Draussen im Auslauf begann man neugierig im Gras zu picken.

Quax' erste Geh- bzw. Hüpfversuche glichen einem Umherschliddern von Gegenstand zu Gegenstand wie ein betrunkener Seemann :-)

Doch seine Unfälle wurden immer weniger und er immer bewegungsfreudiger!
Bald hüpfte und schlitterte er im ganzen Stockwerk herum.
Der Laminatboden war seine Glatteis-Fläche, auf der man herrlich toben konnte.
Seine Erkundungen gingen immer weiter und wurden immer abenteuerlicher….
Ganz spannend fand Quax es um die Papageienvoliere herum. Dort gab es immer ein Körnchen oder ein Federchen zum Herumtragen, und die komischen grünen Vögel mit den krummen Schnäbeln waren ja auch hochinteressant!

Unsere Fernsehabende wurden zu Quax-Live-Übertragungen.
Längst hatte er einen Papageienkäfig bezogen mit Naturästen, Blättern, Gräsern und Mulch als Möbelinventar.
Am Boden liegende Kabel mussten sämtlich mit Tüchern bedeckt werden, ein "Quax-Schwamm" war alle 3 Minuten im Einsatz. Der Kleine hatte eine beneidenswerte Verdauung ;-)

Quax wurde immer agiler und frecher.
Bald war nichts mehr vor ihm sicher.
Zeitungspapier und die Fliegenklatsche wurden im Haus verteilt, Kissennähte geöffnet, Socken (mit Inhalt) zerhackt…..
Die größten Schätze wurden in erlesenen Verstecken gebunkert (noch Tage, nachdem er fort war, fand ich einen gebunkerten Kürbiskern unter einem Tuch).
Das gesamte Stockwerk war sein Revier und wir die geduldeten Mitbewohner.

Seine allergrößte Freude aber war, mit mir zu spielen.
Er hatte ein Ritual, was ihn total begeisterte: Ich musste "Quaaaax" rufen, damit er angehüpft kam, um sofort wie eine Rakete wieder davonzuschiessen – schlitternd und Purzelbäume schlagend auf dem Laminat mit einer unglaublichen Lebensfreude! Er "schoss" um Blumentöpfe und den Couchtisch herum wie eine aufgezogene Spielmaus, und sein Lieblings-Umkreise-Objekt war der freistehende Sessel. Ich weiß nicht, wie oft ich mit Quax um diesen Sessel gespult bin – immer hinter ihm her, "dummer Jäger und fixer Quax" spielend.
(Es muss ein Bild für Götter gewesen sein, jetzt nicht wegen Quax ;-))

Irgendwann konnte Quax dann fliegen.
Jetzt ging die Party erst richtig los! Denn nun war er nicht nur schneller, sondern auch höher! Den Wusel in den Auslauf und wieder heraus zu bringen, wurde zum Kraftakt.

Seine Neugier trieb ihn sogar in die Papageienvoliere hinein! Die beiden Amazonen staunten nicht schlecht über den ungebetenen, frechen, schwarz-weißen Besucher.

Quax war inzwischen zu einer wunderschönen, lebensfrohen Elster herangewachsen. Nichts deutete mehr darauf hin, dass dieses Tier einst behindert und dem Tod so nah war. Seine Klugheit konnte sich durchaus mit der der Papageien messen, ja sie sogar noch übertreffen.

Doch jede noch so schöne Zeit findet einmal ein Ende.
Quax war ein Wildtier. Die Freiheit rief nach ihm…..
Und so waren meine Tage mit Quax gezählt, denn er war nun fast ausgefiedert und ich konnte seinem enormen Bewegungsdrang nicht mehr gerecht werden.
So sehr es auch schmerzte: Ich musste mich ihm zuliebe von ihm trennen.
Die unbeschwerte Kindheit war vorbei, er musste nun auf die Freiheit vorbereitet und wieder vom Menschen entwöhnt werden.

So brachten wir Quax in die Wildvogel-Auffangstation des NABU Mössingen.
Dort durfte er nach zwei Tagen Quarantäne in eine große Aussenvoliere, wo bereits zwei andere Jungelstern ebenfalls auf die Auswilderung vorbereitet wurden.

Ich war furchtbar traurig und gleichzeitig sehr glücklich, denn nun konnte Quax mit anderen "Quaxen" leben und von und mit ihnen lernen. Gemeinsam würden sie die spannende Natur erobern und sich gegenseitig unterstützen können.
Nach zwölf Tagen in der Aussenvoliere wurde Quax mit seinen beiden Kollegen ausgewildert. Längst zeigte er keinerlei Behinderung mehr und hatte nun alles gelernt, um in der freien Natur überleben zu können. Jetzt ist er dort, wo er hingehört, frei, glücklich und gesund :-)

Wir haben für ihn das Beste und einzig Richtige getan, wie schon zuvor mit all den anderen geretteten Jungvögeln. Trotzdem fehlt er mir immer noch, jetzt, viele Monate später. Die mentale, enge Bindung zwischen Quax und mir, die vielen gemeinsamen Erlebnisse, die bangen und lustigen Momente werde ich niemals mehr vergessen.
Und sicher werde ich noch lange Zeit ans Fenster stürzen, wann immer eine Elster vorbeifliegt, und zum Amüsement aller Unwissenden laut "Quaaaaaaaax!!!" herausrufen :-)

Ich wünschte mir, alle Menschen könnten in unseren gefiederten Mitgeschöpfen die schönen, intelligenten, besonderen Tiere sehen, die sie sind. Wir alle sollten sie nicht bekämpfen, verdrängen, ignorieren - sondern schützen und lieben.

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